Abberufung und Kündigung – das Trennungsprinzip am Beispiel der causa Schlesinger
„Der RBB-Rundfunkrat hat nach den Vorwürfen von Vetternwirtschaft und Vorteilsnahme der bisherigen Intendantin Patricia Schlesinger fristlos gekündigt“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung am 15. August 2022. Das ist falsch. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist auf der richtigen Spur, wenn sie berichtet, Patricia Schlesinger sei am Montag mit sofortiger Wirkung abberufen worden. Damit sei sie fristlos gekündigt, fährt die FAZ fort und bekundet damit ebenfalls mangelnde Rechtskenntnis. Der Rundfunkrat des RBB kann den Dienstvertrag von Frau Schlesinger gar nicht kündigen, weil er hierfür nicht zuständig ist. Und Kündigung ist etwas anderes als Abberufung.
Autor: | Dr. Rolf Stagat |
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Wer glaubt, mit der sofortigen Abberufung verliere Frau Schlesinger ihre Gehaltsansprüche und eine Abfindungszahlung, irrt. Der Rundfunkrat, so die FAZ, könne nur über die fristlose Entlassung Schlesingers entscheiden, über die Frage einer Abfindung entscheide der Verwaltungsrat. Auch das stimmt nur bedingt. Bei der ausschließlich arbeitsrechtlichen Betrachtung der Affäre Schlesinger wird übersehen, dass Patricia Schlesinger nicht Arbeitnehmerin ist, sondern als Intendantin des RBB gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg deren Organ. Organe sind nicht Arbeitnehmer. Für angestellte Organe einer juristischen Person gilt das Trennungsprinzip: Sie sind einerseits auf der Grundlage eines Dienstvertrages (schuldrechtliche Grundlage) Angestellte, zum anderen Organ aufgrund ihrer Bestellung (korporative Grundlage). Beide Grundlagen sind rechtlich unabhängig voneinander. Die Organstellung kann enden, der Dienstvertrag weiterbestehen und umgekehrt.
Für die GmbH wird das Trennungsprinzip in § 38 Abs. 1 GmbHG normiert. Danach erfolgt der Widerruf der Bestellung des Geschäftsführers unbeschadet seiner Ansprüche aus dem Dienstvertrag. Hinsichtlich der Rechtsstellung des Geschäftsführers ist also zu unterscheiden zwischen seiner Organstellung als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft und dem Anstellungsvertrag, welcher das Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer regelt. Durch den Anstellungsvertrag werden die Regelungen zu Inhalt und Dauer der Tätigkeit des Geschäftsführers für die Gesellschaft getroffen (insbesondere Aufgabenbereich, Vergütungsregelungen, Wettbewerbsverbot, Ruhegeldzusage, Dienstwagen, Kündigungs- und Abfindungsregelungen). In die Organstellung wird der Geschäftsführer durch den gesellschaftsrechtlichen Organisationsakt der Bestellung nach § 46 Nr. 5 GmbHG berufen. Dagegen wird das Anstellungsverhältnis durch einen schuldrechtlichen Vertrag zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer begründet. Für das Verhältnis zwischen Organstellung und Anstellungsverhältnis gilt das Prinzip der Trennungstheorie. Danach bestehen beide Rechtsverhältnisse grundsätzlich unabhängig voneinander, sodass aus dem gesellschaftsrechtlichen Organisationsakt der Bestellung des Geschäftsführers nicht der Abschluss eines Anstellungsvertrags folgt, ebenso wie auch umgekehrt der Abschluss des Anstellungsvertrags nicht zur organschaftlichen Bestellung des Geschäftsführers führt.
Diese Grundsätze der Trennungstheorie gelten in gleicher Weise für die Beendigung der Organstellung, wonach in der Abberufung des Geschäftsführers oder einer Niederlegung des Geschäftsführeramtes keine Beendigung des für die Geschäftsführertätigkeit abgeschlossenen Anstellungsvertrags liegt. Für die GmbH besteht deshalb das Risiko, dass sie einen Geschäftsführer zwar wirksam als Organ abberuft, aber nicht gleichzeitig den Anstellungsvertrag wirksam beendet und deshalb weiter zur Zahlung der Vergütung verpflichtet ist. Häufig wird versucht, dieses Risiko durch eine Koppelungsklausel zu vermeiden. Der Bestand des Anstellungsverhältnisses wird dabei direkt an die Organstellung geknüpft, sodass mit der Abberufung des Geschäftsführers zugleich auch sein Anstellungsverhältnis endet. Die Zulässigkeit einer solchen vertraglichen Koppelung des Anstellungsverhältnisses an die Organstellung ist von der Rechtsprechung anerkannt, allerdings müssen dabei Mindestkündigungsfristen beachtet werden.
Generell gilt der Grundsatz, dass die Abberufung des Geschäftsführers keine Rechtswirkungen für den Anstellungsvertrag entfaltet, sodass aus der Abberufung insbesondere keine Beendigung des Anstellungsvertrags folgt. Der BGH hat das Trennungsprinzip zuletzt mit Urteil vom 10. 5. 2010 – II ZR 70/09 – bestätigt.
Zuständig für die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern einer GmbH ist nach § 46 Nr. 5 GmbHG die Gesellschafterversammlung. Ihr obliegen sowohl die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern als auch der Abschluss und die Kündigung des Anstellungsvertrages. Das steht zwar nicht im Gesetz, denn § 46 Nr. 5 GmbHG weist der Gesellschafterversammlung nur die Aufgaben der Bestellung, der Abberufung sowie der Entlastung von Geschäftsführern zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erstreckt sich die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung aber auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung auf den Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Geschäftsführeranstellungsverträgen (sog. Annexkompetenz der Gesellschafterversammlung). Um einen Geschäftsführeranstellungsvertrag wirksam abzuschließen, muss die GmbH deshalb durch ihre Gesellschafter vertreten sein. Ist sie dies nicht, so hat dies zur Folge, dass der Vertrag schwebend unwirksam ist (sog. faktischer Anstellungsvertrag).
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg ist keine GmbH, sondern eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Zuständigkeit für die Bestellung und Abberufung der Intendantin Schlesinger als Organ liegt gemäß § 13 Abs. 2 des Staatsvertrags beim Rundfunkrat, während die Entscheidung über Abschluss und Beendigung des Dienstvertrages mit dem Intendanten nach § 18 Abs. 2 des Staatsvertrages dem Verwaltungsrat übertragen ist. Die Kompetenzen für die Bestellung und Abberufung einerseits und den Abschluss und die Kündigung des Dienstvertrages andererseits sind also getrennt. Der Rundfunkrat kann Frau Schlesinger deshalb nicht „fristlos entlassen“ oder „feuern,“ wie häufig zu lesen ist, sondern sie nur vom Amt der Intendantin abberufen. Das bedeutet nicht, dass Frau Schlesinger kein Gehalt mehr beanspruchen kann oder keine Abfindung erhält. Hierüber hat vielmehr der Verwaltungsrat zu entscheiden, der nun an der Vertragsauflösung „arbeite.“ Für die Auflösung des Vertrages gibt es aber nur zwei Wege: eine Aufhebungsvereinbarung (in der Frau Schlesinger der sofortigen Beendigung ihres Dienstvertrages zustimmen müsste) oder die Kündigung. Würde der Verwaltungsrat eine Aufhebungsvereinbarung abschließen und Frau Schlesinger eine Abfindung zusagen, würde er gegen seine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem RBB verstoßen und sich regresspflichtig machen. Gleiches gilt für den Fall, dass er im Aufhebungsvertrag eine Erledigungsklausel vereinbart, die die Tür zum Regress von Frau Schlesinger zustoßen würde. Um nicht seine eigene Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem RBB zu verletzen wird der Verwaltungsrat nicht nur „an der Vertragsauflösung arbeiten“, sondern den Dienstvertrag durch Kündigung beenden müssen – und zwar schnell, weil sonst die zweiwöchige Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB abläuft.
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