Die Europäische Union hat am 20. Juni 2019 die Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen erlassen. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen hat der Bundestag nun am 23. Juni 2022 in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Richtlinie gebilligt. Es tritt nach Zustimmung des Bundesrates und Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 1. August 2022 in Kraft.

Durch die Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 die darin enthaltenen Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Spätestens ab
dem 1. August 2022 sind nun die in dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Umsetzung der  Richtlinie festgelegten Rechte und Pflichten auf alle Arbeitsverhältnisse anzuwenden.

Anwalt Thomas Zürcher

 

Autor: Thomas Zürcher, LL.M.
Standort: Freiburg
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Hintergrund der Richtlinie war, dass die EU-Agentur Eurofound mehrere neue atypische Beschäftigungsformen im Bereich der Gelegenheitsarbeit und der geringfügigen Beschäftigung ermittelt hatte. Durch die Umsetzung der neuen Richtlinie soll deshalb vor allem der Schutz von atypisch Beschäftigten bezüglich der Informationen über die Beschäftigungsbedingungen sowie eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen erreicht werden.

Erweiterung des Arbeitnehmerbegriffs

Durch eine weite Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs sollen zukünftig auch Arbeitnehmer/innen in sehr flexiblen atypischen Beschäftigungsformen besser geschützt sein. Die Richtlinie gilt gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 und 3 für Arbeitnehmer/innen, die mehr als drei Stunden pro Woche über einen Zeitraum von vier Wochen (d. h. mehr als zwölf Stunden pro Monat) arbeiten und nach den Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen EU-Land einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen. Die Rechtsprechung des EuGH ist dabei zu berücksichtigen. Erwägungsgrund (8) der Richtlinie zählt beispielsweise die Arbeit auf Abruf, Gelegenheitsarbeit und geringfügig Beschäftige, aber auch Hausangestellte, Praktikanten und Auszubildende auf. Somit könnten von nun an europaweit ca. drei Millionen Arbeitnehmer/innen mehr als bisher in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.

Wesentliche Änderungen im Nachweisgesetz – Schriftformerfordernis bleibt aber bestehen

Besonders betroffen von dem Gesetz zur Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie ist das Nachweisgesetz. Erstaunlich ist dabei zunächst, dass auch die neue Fassung des § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG die Schriftform vorsieht und die elektronische Form gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 NachwG – wie bisher – ausgeschlossen bleibt. Dies verwundert deshalb, weil Art. 3 der Arbeitsbedingungenrichtlinie ausdrücklich die elektronische Form zulässt.

Inhaltlich wird der Katalog der erforderlichen Mindestinhalte (§ 2 Abs. 1 S. 2 NachwG), die der Arbeitgeber schriftlich niederzulegen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen hat, von bisher 10 auf nunmehr 15 Nummern erweitert. Zu den bisherigen Mindestinhalten treten künftig insbesondere hinzu:

      • das Enddatum bei befristeten Arbeitsverhältnissen;
      • die Möglichkeit, dass die Mitarbeitenden ihren jeweiligen Arbeitsort frei wählen können, falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort tätig sein soll;
      • die Dauer der Probezeit, sofern vereinbart;
      • Informationen zur Vergütung von Überstunden;
      • Zusammensetzung und Fälligkeit des Arbeitsentgelts sowie die Form, in der das Arbeitsentgelt ausgezahlt wird;
      • die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für die Schichtänderungen;
      • Einzelne Informationen zur Arbeit auf Abruf, falls diese vereinbart ist;
      • die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen;
      • ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung;
      • das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Mitarbeitenden einzuhaltende Verfahren;
      • ein Hinweis auf die anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sowie Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen.

Darüber hinaus sind für Arbeitsleistungen im Ausland, die der Arbeitnehmer länger als vier aufeinanderfolgende Wochen zu erbringen hat, umfassendere Angaben als bisher zu machen.

Eine beträchtliche Änderung hat es auch bezüglich der Frist zur Bereitstellung der Informationen gegeben. Anstelle der bisher geltenden Monatsfrist sieht der neu eingefügte Satz 4 in § 2 Abs. 1 NachwG vor, dass in Abhängigkeit der Art der Information die Aushändigung vom ersten Tag der Arbeitsleistung an bis hin zu spätestens einem Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses zu erfolgen hat.

Beispielsweise hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bereits am ersten Tag der Arbeitsleistung die schriftliche Mitteilung über die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen auszuhändigen.

Demgegenüber ist die Information über einen etwaigen Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildungen erst spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses zu übergeben.

Auch Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis bereits vor dem 1. August 2022 bestanden hat, können von ihrem Arbeitgeber die schriftliche Niederlegung und Aushändigung der in der neuen Fassung des Nachweisgesetzes genannten wesentlichen Arbeitsbedingungen verlangen. Dem Arbeitgeber bleibt abhängig von der Art der Information eine Frist zur Aushändigung von sieben Tagen bis zu spätestens einem Monat nach Zugang der Aufforderung.

Es drohen Bußgelder bis zu 2.000 Euro

Erstmalig enthält das Nachweisgesetz in der künftigen Fassung in § 4 NachwG einen neuen Ordnungswidrigkeitentatbestand, der Art. 19 der Richtlinie im Hinblick auf Sanktionen umsetzt. Gemäß dieser neuen Vorschrift handelt ordnungswidrig, wer den Mitteilungs- und Informationspflichten gar nicht, nur unvollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 2.000 Euro sanktioniert werden.

Neue Informationspflichten- und Begründungspflichten in anderen Gesetzen (insbesondere im Teilzeit- und Befristungsgesetz)

Auch für das Berufsbildungsgesetz und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz finden sich in dem Gesetz zur Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie einige Änderungen und Erweiterungen der Informationspflichten, wenngleich nicht so umfangreich.

Der neu gefasste § 13a Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sieht vor, dass der Entleiher einem Leiharbeitnehmer, der ihm seit mindestens sechs Monaten überlassen ist und der ihm in Textform den Wunsch nach dem Abschluss eines Arbeitsvertrages angezeigt hat, innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige eine begründete Antwort in Textform mitzuteilen hat.

Etwas weitreichender sind die geänderten Regelungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz. Bezüglich der Arbeit auf Abruf sieht die Neufassung des § 12 Abs. 3 TzBfG eine Verpflichtung des Arbeitgebers vor, den Zeitrahmen (Referenzstunden und Referenztage) festzulegen, in dem auf seine Aufforderung hin Arbeit stattfinden kann. Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt und die Arbeitsleistung im festgelegten Zeitrahmen zu erfolgen hat. Faktisch bedeutet dies ein Ablehnungsrecht, welches auch von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie gefordert wird.

Auch Auskunftsansprüche der Arbeitnehmer/innen über zu besetzende Arbeitsplätze finden sich künftig im Teilzeit- und Befristungsgesetz. Gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 TzBfG n.F. hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über entsprechende Arbeitsplätze zu informieren, die im Betrieb oder Unternehmen besetzt werden sollen, wenn der Wunsch nach Veränderung der Arbeitszeit angezeigt wurde. In Erweiterung dazu hat der Arbeitgeber fortan einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden und der ihm in Textform den Wunsch nach Veränderung der Arbeitszeit angezeigt hat, innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige eine begründete Antwort in Textform mitzuteilen (§ 7 Abs. 3 TzBfG n.F.).

Ebenfalls neu eingefügt wurde § 15 Abs. 3 TzBfG n.F., wonach die für ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbarte Probezeit im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen muss.

Kostenlose Pflichtfortbildungen

In der Gewerbeordnung wurde zur Stärkung der Rechte von Arbeitnehmer/innen ein neuer § 111 geschaffen. Dieser sieht vor, dass den Arbeitnehmer/innen Kosten für Pflichtfortbildungen nicht auferlegt werden dürfen und Pflichtfortbildungen auch dann als Arbeitszeit gelten, soweit sie außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit durchgeführt werden müssen.

Anwendung arbeitsrechtlicher Rechtsvorschriften auf Auszubildende

Abschließend berücksichtigt das Gesetz zur Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie die Erweiterung des Arbeitnehmerbegriffs in verschiedenen Gesetzen (z.B. Notfallsanitätergesetz) mit einer Ergänzung der bereits bestehenden Regelungen zu Ausbildungsverträgen. Demnach sind „auf den Ausbildungsvertrag, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck sowie aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden.“

Das Beratungsangebot von GKD Rechtsanwälte im Arbeitsrecht

GKD-Rechtsanwälte berät Sie umfassend in allen Fragen des Arbeitsrechts – insbesondere natürlich auch zu der geplanten Gesetzesänderung. Wir unterstützen Sie bei der Durchsetzung und der Abwehr von Ansprüchen aus einem Arbeitsvertrag mit Ihren Mitarbeitern. Gerne entwerfen wir für Sie auch einen rechtssicheren Arbeitsvertrag oder passen diesen bei Bedarf an die aktuelle Rechtslage und die neuste Rechtsprechung an.

Für alle Fragen rund um das Arbeitsrecht stehen Ihnen unsere Fachanwälte für Arbeitsrecht Dr. Rolf Stagat und Thomas Zürcher, LL.M. sowie Herr Rechtsanwalt Dr. Stefan Jäkel  und Frau Rechtsanwältin Cornelia Kuhn an unseren Standorten in Konstanz und in Freiburg sehr gerne zur Verfügung.

Dr. Rolf Stagat

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