Was GmbH-Geschäftsführer vom Sozialversicherungsrecht wissen sollten – Beitrag von Dr. Rolf Stagat im E-Book „GmbH-Geschäftsführer 2019“
Den Beitrag als PDF
Einführung
Das Sozialversicherungsrecht steht üblicherweise nicht im Fokus von GmbH- Geschäftsführern. Die Anmeldung von Mitarbeitern zur Sozialversicherung und die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen an die Sozialversicherungsträger werden eher als Themen der Lohnbuchhaltung oder des Steuerberaters gesehen. Spätestens bei sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfungen können sie aber auch die Geschäftsführung erreichen. Dabei geht es zunächst um den Status des Geschäftsführers selbst. Sind GmbH-Geschäftsführer selbstständig – und damit sozialversicherungsfrei – oder muss die Gesellschaft für sie als abhängig Beschäftigte Sozialversicherungsbeiträge abführen? Nach der bis vor kurzem geltenden Praxis der Sozialgerichte und der Sozialversicherungsträger konnten auch Fremdgeschäftsführer und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer im sozialversicherungsrechtlichen Sinne selbstständig sein und die Beitragspflicht vermeiden. Davon haben Geschäftsführer, Gesellschafter-Geschäftsführer und Gesellschafter-Arbeitnehmer in weitem Umfang Gebrauch gemacht.
Der Zulässigkeit solcher Gestaltungen hat das Bundessozialgericht jedoch mit den sog. November-Urteilen im Jahr 2015 ein striktes Ende gesetzt. Die lieb gewonnenen Vermeidungsstrategien werden von der Rechtsprechung nicht mehr akzeptiert. Der Wandel in der Rechtsprechung ist aber von vielen Unternehmen noch nicht wahrgenommen worden, sodass in vielen GmbHs das latente Risikoschlummert, anlässlich der nächsten Betriebsprüfung mit erheblichen Beitragsnachforderungen überzogen zu werden. Dabei handelt es sich nicht nur um ein finanzielles Risiko für die GmbH, denn für die korrekte Anwendung geltenden Rechts trägt der Geschäftsführer im Rahmen seiner Legalitätspflicht die Verantwortung. Geschäftsführer müssen dafür Sorge tragen, dass die GmbH nicht gegen Rechtsvorschriften verstößt. Das gilt auch für die korrekte sozialversicherungsrechtliche Statusfeststellung der Mitarbeiter. Verletzen Geschäftsführer diese Organpflicht, können Sie sich schadensersatzpflichtig machen. Auch das Sozialversicherungsrecht kann für GmbH-Geschäftsführer also zur Haftungsfalle werden.
Geänderte Einstufung von Geschäftsführern und mitarbeitenden Gesellschaftern im Sozialversicherungsrecht
Rechtliche Grundlage für die Bestimmung der Sozialversicherungspflicht ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Entscheidendes Merkmal eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist die fehlende Selbstständigkeit bei der Ausübung der Tätigkeit für die Gesellschaft. Als Anhaltspunkte für eine unselbstständige Arbeitsleistung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Diese Weisungsabhängigkeit liegt unproblematisch vor bei Arbeitnehmern, da diese dem Direktionsrecht ihres Arbeitgebers unterliegen. Schwieriger zu bestimmen ist die Frage der Weisungsabhängigkeit und Eingliederung in den Betrieb bei Geschäftsführern und Gesellschaftern, die nicht Arbeitnehmer sind bzw. auf Gesellschafterebene Einfluss auf das Unternehmen nehmen können. Bei der Personengruppe der Geschäftsführer und mitarbeitenden Gesellschafter erfolgt die Statusabgrenzung nicht nach dem Kriterium arbeitsrechtlicher Weisungsunterworfenheit, sondern danach, ob sie auf der Ebene der Gesellschaft ihre Vorstellungen durchsetzen können oder sich den Beschlüssen der Gesellschafter unterordnen müssen. Letzteres trifft etwa auf Fremdgeschäftsführer zu, während Mehrheitsgesellschafter in der Regel kraft ihrer Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung Entscheidungen nach ihrem Willen herbeiführen können.
Von diesem System der Statusbestimmung nach der gesellschaftsrechtlichen Rechtsmacht hat die Rechtsprechung traditionell für Familiengesellschaften Ausnahmen zugelassen. War ein Familienmitglied nur Geschäftsführer der GmbH, aber nicht als Gesellschafter an ihr beteiligt, so war er zwar grundsätzlich den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterworfen. Machte diese von ihrem Weisungsrecht aber tatsächlich keinen Gebrauch, so akzeptierten es Bundessozialgericht und Sozialversicherungsträger, dass der Geschäftsführer zwar nicht rechtlich, aber tatsächlich keinen Weisungen unterlag. Wer in diesem Sinne als Geschäftsführer frei schalten und walten konnte, war nicht sozialversicherungspflichtig. Die Rechtsprechung hat dies für die Konstellationen anerkannt, dass der Geschäftsführer als einziger im Betrieb über die notwendigen Branchenkenntnisse verfügt („Know-how Träger“, „Kopf und Seele“ des Betriebs) oder seine Beschäftigung durch „familienhafte Rücksichtnahme“ gekennzeichnet ist.
Von dieser langjährigen Rechtsprechung hat sich das Bundessozialgericht erstmals im sog. „Schönwetter-Urteil“ vom 29.8.2012 abgewendet (Bundessozialgericht, Urteil vom 29.8.2012-B 12 KR 25/10 R). Der Verzicht der Gesellschafter auf die Ausübung ihres Weisungsrechts gegenüber dem tatsächlich unbeschränkt waltenden Geschäftsführer reiche nicht aus, um seine Selbstständigkeit zu begründen, da der Verzicht auf das Weisungsrecht von den Gesellschaftern jederzeit widerrufen werden könne. Eine solche „Schönwetter-Selbstständigkeit“ sei mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher Tatbestände nicht vereinbar.
Um der Sozialversicherungspflicht zu entgehen wurde in der Folge versucht, die Weisungsunabhängigkeit von Geschäftsführern durch vertragliche Vereinbarungen wie etwa die Einräumung von Vetorechten im Geschäftsführeranstellungsvertrag oder Stimmbindungsverträge zu untermauern, in denen sich die übrigen Gesellschafter verpflichteten, nicht gegen den Geschäftsführer abzustimmen. Das Bundessozialgericht hat diesen Versuchen mit drei Urteilen vom 11.11.2015 („November-Urteile“) eine deutliche Absage erteilt. Einfache privatschriftliche Vereinbarungen über die Stimmrechtsbindung oder Vetorechte hält es für die Statusentscheidung für nicht maßgeblich, da sie ohne weiteres beendet werden können. Nur im Gesellschaftsvertrag selbst verankerte Minderheitenrechte können Fremdgeschäftsführern oder Minderheitsgesellschaftern die erforderliche Rechtsmacht verleihen, unliebsame Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern.
Die Sozialgerichte haben die Wende der Rechtsprechung weg von der Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse in Familiengesellschaften hin zum Vorrang der rechtlichen Rahmenbedingungen in weiteren Entscheidungen bestätigt. Das Bundessozialgericht hat zuletzt mit Urteil vom 14.3.2018 (B 12 KR 13/17 R) klargestellt, dass Geschäftsführer einer GmbH, die nicht am Gesellschaftskapital beteiligt sind, ausnahmslos abhängig beschäftigt sind und Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund ihrer Kapitalbeteiligung nur dann selbstständig tätig sind, wenn sie mindestens 50 % der Anteile halten oder ihnen bei geringerer Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine echte Sperrminorität eingeräumt ist.
Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung der Beitragspflicht
Aufgrund dieser gefestigten neuen Rechtsprechung hat sich das Fenster der Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung der Sozialversicherungspflicht von Fremdgeschäftsführern und Gesellschafter-Geschäftsführern weitgehend geschlossen. Als Vermeidungsstrategien kommen nur noch in Betracht:
- Schaffung einer Beteiligungsquote von mindestens 50 %
- Verpflichtung aller Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag, nur einheitlich abzustimmen (statuarische Stimmbindungsvereinbarung)
- Einführung eines satzungsmäßigen Vetorechts
- Einräumung einer Sperrminorität (durch qualifizierte Beschlussmehrheit) im Gesellschaftsvertrag
- Treuhandkonstellationen
- Gesellschaftsvertraglicher Verzicht auf die Ausübung des Weisungsrechts gegenüber dem Geschäftsführer
Haftungsrisiken für Geschäftsführer bei fehlerhafter Statusbeurteilung
Sind wirksame Vermeidungsgestaltungen nicht umgesetzt und Geschäftsführer oder Gesellschafter nach wie vor ohne die Rechtsmacht zur Verhinderung von Weisungen der Gesellschafterversammlung im Unternehmen tätig ohne zur Sozialversicherung angemeldet zu sein, droht das böse Erwachen bei der nächsten Betriebsprüfung. Stellt der Betriebsprüfer fest, dass Geschäftsführer oder mitarbeitende Gesellschafter abhängig beschäftigt sind, führt dies zu Beitragsnachforderungen an die Gesellschaft, die sich auf einen Zeitraum von über vier Jahren erstrecken können. Hieraus können sich Zahlungsverpflichtungen in der Größenordnung von über 60.000 Euro ergeben. Einen erheblichen Anteil an dem nach geforderten Betrag machen die Zinsen aus, denn für säumige Beiträge muss ein Zuschlag von 1 Prozent pro Monat (!) gezahlt werden (§ 24 Abs. 1 SGB IV). Der Säumniszuschlag wird nur dann nicht erhoben, wenn der Beitragsschuldner von der Zahlungspflicht unverschuldet keine Kenntnis hatte. Die Voraussetzungen dieser Ausnahme werden Geschäftsführer kaum darlegen können, da sie verpflichtet sind, sich über die aktuelle Rechtslage zu informieren bzw. die Berücksichtigung aktuellen Rechts durch geeignete organisatorische Maßnahmen im Unternehmen sicherzustellen.
Dritthaftung des Steuerberaters als Rettungsanker?
Ist das Kind in den Brunnen gefallen und die Gesellschaft Beitragsnachforderungen ausgesetzt, müssen Geschäftsführer mit Regressansprüchen wegen Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht rechnen (§ 43 Abs. 2 GmbHG). In dieser Situation kann es lohnenswert sein, die Rolle des Steuerberaters bei der unterbliebenen Meldung zur Sozialversicherung zu überprüfen. Zwar verpflichtet die Übernahme der Lohnbuchhaltung den Steuerberater grundsätzlich nicht zur Beratung in sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Ihn trifft allerdings die generelle Pflicht, den Mandanten vor Schaden zu bewahren. Weist der Steuerberater die von ihm betreute Gesellschaft nicht auf die geänderte Rechtsprechung zur Statusfeststellung hin, obwohl er im Rahmen seiner Lohnbuchführung Anlass hatte, deren Richtigkeit zu hinterfragen, kann hierin einen Verstoß gegen die Schadensverhütungspflicht liegen. Der Steuerberater kann insbesondere verpflichtet sein, seine Mandanten zu empfehlen, den Rat eines spezialisierten Rechtsanwalts einzuholen (BGH NJW-RR 2004, 1358). Verletzt der Steuerberater diese Pflichten, eröffnet sich dem Geschäftsführer ggfs. die Möglichkeit, sich über die Dritthaftung des Steuerberaters schadlos zu halten.
Zusammenfassung
GmbH-Geschäftsführer sollten auch ein Auge auf das Sozialversicherungsrecht werfen. Insbesondere ihr eigener sozialversicherungsrechtlicher Status muss zutreffend festgestellt und den Sozialversicherungsträgern gemeldet werden. Dadurch sichern Geschäftsführer nicht nur ihre eigene Versorgung ab, sondern bewahren auch die Gesellschaft vor Schaden. Sollte es dennoch zu Beitragsnachforderungen kommen, besteht das Risiko, dass Geschäftsführer wegen der Gesellschaft hieraus entstandener finanzieller Schäden in Regress genommen werden. Schon aus diesem Grund sind Geschäftsführer gut beraten, den sozialversicherungsrechtlichen Status nicht nur von freien Mitarbeitern, sondern insbesondere auch von Geschäftsführern und mitarbeitenden Gesellschaftern rechtlich überprüfen zu lassen. Ist es bereits zu schmerzlichen Beitragsnachforderungen gekommen, können sich für Geschäftsführer Möglichkeiten ergeben, sich durch die Dritthaftung beteiligter Steuerberater schadlos zu halten.